Fotografien machen sichtbar, was Worte nicht vermitteln können. Die besondere Kraft dieser Erzähltechnik nutzt Simon Diefenbach. Er setzt sich mit dem vielschichtigen Thema der Identität auseinander: Wer bin ich? Wer hätte ich sein können, sein sollen? Wer musste oder durfte ich sein? Diesen Fragen und seinen Protagonist*innen begegnet der in Konstanz lebende Fotograf in visueller Formatierung. In der Ausstellung «Das ewige Ich?!» erlauben ihm sechs Menschen aus der Bodenseeregion einen unverstellten Blick auf ihre privaten und beruflichen Lebensrollen.
Diefenbach wagt in einem fotografischen Praxisversuch, das Ich zu visualisieren. Sein Leitgedanke: Wir alle spielen verschiedene Rollen in unserem Leben, sind beispielsweise Mutter oder Sohn, Freund oder Geliebte. Zeitgleich üben wir Berufe aus. Die Grenzen zwischen unseren Rollen verwischen im Alltag. Aus dem Ich wird für Diefenbach im Laufe des Lebens zwangsläufig ein Wir. Er begreift das Leben als zeitintensives, aber endliches Schauspiel. Angelehnt an unser Bild davon, verändern wir im Laufe der Zeit unser Ich, passen unser Verständnis davon an: an Erwartungen, äußere und innere Wünsche, an Ziele. Nur: Wann bin ich dann wirklich Ich? Und: gibt es ein solches überhaupt? Dieses Ringen um mögliche, mitunter widersprüchliche Lebensrollen wolle er mit Hilfe der Fotografie sichtbar machen, erklärt der Fotograf.
Drei Männer und drei Frauen aus der Bodenseeregion hat er für sein Projekt über zwei Jahre hinweg begleitet (2021 - 2023). Bei Gesprächen, Spaziergängen und Reisen definierten sie je vier bedeutsame Rollen ihres Lebens. Anschließend planten die Beteiligten die visuelle Umsetzung. Der Anspruch aller: So nah wie möglich an die Szenerie der definierten Rolle zu gelangen. Je weiter diese in der Vergangenheit lag, desto aufwendiger, aber auch reizvoller gestaltete sich die Aufgabe. Es galt, Inszenierungsorte zu suchen und Ausstattungsoptionen zu diskutieren. Die Idee schien aufzugehen und nahm immer deutlicher Gestalt an - aber sie forderte auch Ressourcen. Diefenbach fragte um Unterstützung und Rat für Requisiten, Ausstattung und Technik. Der Zuspruch überwältigte den Fotografen: Der Kulturfonds der Stadt Konstanz, der Konstanzer Hospizverein, das Theater Konstanz und das Fotofachgeschäft Lichtblick beteiligten sich mit großem Engagement und Vertrauen.
Diefenbach produzierte die Fotografien gemeinsam mit den Protagonist*innen zu allen Jahreszeiten, zu unbequemen Uhrzeiten, an unzugänglichen Orten, teils doppelt und dreifach – bis sich die Porträts „richtig“ anfühlten. Gemeinsam gelang es, den persönlichen und beruflichen Widrigkeiten der Pandemie sowie des Alltags zu begegnen. Dabei vertieften die Beteiligten gerade in dieser unklaren Gegenwart ihren Austausch.
Diefenbach misst sein Projekt an zwei Faktoren: der geteilten Zeit und der authentischen Visualisierung der Lebensrolle. Für die Produktion fotografierte er auf digitalem Mittelformat, nutzte in der Regel eine Mischung aus natürlichen und künstlichen Lichtquellen und legte Wert auf aussagekräftige Farbschemata.
Die Leica Galerie zeigt nun den außergewöhnlichen Blick auf die Rollen mehrerer Leben: 30 Porträts von sechs Menschen aus Konstanz, Radolfzell und Kreuzlingen. In einer begleitenden Broschüre kleiden die Inszenierten ihre Lebensrollen in Worte. Ihre Beschreibungen geben den Besucher*Innen einen Einblick in die eigene Gedankenwelt. Anhand von sensiblen Fotografien erzählt Simon Diefenbach Wünsche nach aufrichtiger Tiefe in der zwischenmenschlichen Begegnung. Er lässt unter die Oberflächen blicken, was in der maßlosen Drehgeschwindigkeit unserer Zeit allzu oft versäumt wird.
Leica Galerie Konstanz
Samstag 9.30 - 14.00 Uhr