old man and horses

Im Dialog: Tori Ferenc und René Burri

Zum 100-jährigen Jubiläum der Leica I tritt die polnische Fotografin Tori Ferenc in den fotografischen Dialog mit dem großen Leica Fotografen René Burri. Die Werke der beiden sind ab dem 7. November in der Leica Galerie London zu sehen. 

Mit ihrer Serie Borderlands knüpft die polnische Porträt- und Dokumentarfotografin Tori Ferenc an das Werk des Schweizer Fotografen René Burri an. Trotz der Jahrzehnte, die ihre Arbeiten zeitlich trennen, verbindet beide ein meisterhafter Umgang mit Licht und Schatten sowie eine tiefe Wertschätzung für ihre Motive. Im Interview spricht die Autodidaktin Ferenc über prägende Einflüsse und Inspirationsquellen und wirft zugleich einen Blick auf mögliche Entwicklungen, die die Zukunft der Fotografie bereithält. Mit dieser Ausstellung setzen die Leica Galerien ihr Jubiläumskonzept in London fort: Zeitgenössische Positionen treten dabei in einen Dialog mit dem Werk eines Leica-Hall-of-Fame-Preisträgers.

© Tori Ferenc I Justyna at the mouth of two rivers, Krostrzyn 2025

Man on a small boat in the background; a bridge is being built

Leica: 100 Jahre Leica-Fotografie – was sind Ihre Gedanken dazu? 
Tori Ferenc: Leica ist ein echter Kultname in der Fotografie. Was mich am meisten fasziniert ist, dass Leica trotz der rasanten technologischen Fortschritte im Laufe der Jahre stets ein Niveau an Exzellenz beibehalten hat, das seiner Zeit voraus ist. Ich habe immer davon geträumt, eine Leica zu benutzen, und als ich endlich die Gelegenheit dazu hatte, konnte ich die Qualität der Bilder kaum glauben. Die Fülle der Farbtöne, die Art und Weise, wie die Schatten sanft ineinander übergehen – das ist eine ganz besondere Erfahrung. Kein Wunder, dass die Leica seit Jahrzehnten die Kamera der Wahl für viele Fotografinnen und Fotografen ist. So viele entscheidende Momente der Geschichte wurden durch ihr Objektiv festgehalten. Es ist fast surreal, wie viel wir von der Welt durch eine Leica gesehen haben.

Wie hat die Arbeit der Leica-Hall-of-Fame-Preisträger Ihre Arbeit beeinflusst?
Ich habe keine formale Ausbildung in der Fotografie absolviert, daher habe ich immer durch das Studium der Werke anderer gelernt. Ich habe mich intensiv mit ihren Bildern beschäftigt, analysiert, was sie auszeichnet und versucht, die Geschichten zu verstehen, die sie erzählen. Ein Fotograf, dessen Arbeit ich besonders bewundere, ist Joel Meyerowitz. Die Art und Weise, wie er Farben einfängt und die Wärme, die seine Bilder ausstrahlen, sind etwas, das ich in meiner eigenen Arbeit anstrebe. Auch der Humor in Elliott Erwitts Fotografien hat mich schon immer fasziniert. Seine Bilder sind voller Leichtigkeit und Freude. Und dann ist da noch René Burri. Seine Fotografie hat etwas Klares, fast Grafisches und ist dennoch voller Tiefe.

© Rene Burri/Magnum Photos

man standing with the coin belt and the other man sitting

Die Ausstellungen handeln von einem visuellen Dialog zwischen zwei Generationen. Wie sind Sie an dieses Thema herangegangen?
Wir haben die Ausstellung eher als Gespräch, denn als Vergleich konzipiert. Indem wir Werke aus dem Archiv von René Burri und meinem neuen Projekt nebeneinander stellen, möchten wir die Betrachtenden dazu anregen, sowohl Kontinuität als auch Bruchstellen wahrzunehmen. 

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? 
Ich fühle mich definitiv von anderen Fotografen inspiriert – ich denke, das ist unvermeidlich. Vor allem, wenn ich mir die Arbeiten von Fotowettbewerben und auf Fotofestivals ansehe. Was zeitgenössische Fotografie angeht, schätze ich die Arbeiten von Nanna Heitmann, Daria Svertilova, Jędrzej Nowicki, Sarah Blesener, Emile Ducke und dem Docks Collective. Sie schaffen es, Dokumentarfotografie mit bildender Kunst zu verbinden, was auch das Ziel meiner fotografischen Arbeit ist. 

© Tori Ferenc I Braided channels of Narew River, 2025

Braided channels of Narew River

Was ist das Thema Ihrer Fotos, die in der Ausstellung gezeigt werden?
In dieser Ausstellung präsentiere ich Arbeiten, die ich in polnischen Grenzgebieten fotografiert habe. Die Serie versucht, eine nuancierte und gründliche Erkundung der polnischen Landesgrenze zu bieten und die miteinander verflochtenen Narrative von Ökologie, Humanität, Gesellschaft und Geschichte zu entwirren. Außerdem tauche ich ganz in die Frage ein, was es bedeutet, in diesen Grenzräumen zu leben. 

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Welche Kamera haben Sie für Ihre Fotografien verwendet und warum?
Ich habe eine Leica SL2-S mit 35-mm- und 50-mm-Objektiven verwendet. Da ich noch nie mit einer Messsucherkamera fotografiert habe, entschied ich mich für eine SL2-S – eine großartige Kamera! Ich bin begeistert von der Qualität der Objektive und der Tonalität der Bilder.

Wie hat sich die Fotografie in den letzten Jahrzehnten verändert? 
Fotografie ist vielfältiger, demokratischer und repräsentativer geworden. Es gibt noch viel Raum für Verbesserungen, aber ich habe das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Medium verändert sich außerdem stetig, und das gibt einem viel Freiheit, den eigenen Arbeitsstil zu finden, als Künstlerin zu wachsen und zu experimentieren.

© Rene Burri I Pampa, Buenos Aires, Argentina 1958

Pampa, Buenos Aires, two horses Argentina 1958

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft der Fotografie?
Die Entwicklung zu mehr KI-generiertem Content begrüße ich nicht, obwohl ich keine Sorge habe, dass diese Technologie die Fotografie ersetzen wird. Da KI-Bilder jedoch immer realistischer werden, befürchte ich, dass es zunehmend schwieriger werden wird, zwischen echten und unechten Bildern zu unterscheiden. Als Folge daraus könnte das Vertrauen in die Fotografie als dokumentarisches Medium schwinden. Allerdings werden wir immer neue Wege finden, um Geschichten zu erzählen. Vielleicht, indem wir in Zukunft Multimedia in unser Storytelling integrieren, um es immersiver zu gestalten.

Welche Rolle spielen Galerien im Zeitalter der digitalen Medien und speziell für Ihre Arbeit?
Fotografie kann ihre wahre Kraft erst in gedruckter Form entfalten. In einer Galerie wird die Fotografie zu einem ganzheitlichen Erlebnis. Die Physik eines Abzugs hat etwas Intimes. Wenn man ganz nah davor steht und die Textur, das Licht und die kleinen Unvollkommenheiten sieht, verwandelt sich das Foto in etwas Lebendiges. 

Biografien

Tori Ferenc

Tori Ferenc

1989 in Polen geboren. In ihrer Arbeit konzentriert sich die Porträt- und Dokumentarfotografin auf die Themen Identität, Gemeinschaft und Familiendynamik. Sie ist Mitglied von Women Photograph und Equal Lens. Ihre Bilder wurden international veröffentlicht und ausgestellt. Sie lebt in London.

Rene Burri

© Claire Yaffa

René Burri

1933 in der Schweiz geboren. Er gehörte zu den begabtesten Fotografen und Bildjournalisten seiner Generation. Sein Werk ist vielschichtig – berühmt wurde er mit ikonischen Porträts von Che Guevara, Le Corbusier und Pablo Picasso. Bereits 1959 wurde er Mitglied der Fotoagentur Magnum. 2013 erhielt Burri den Leica Hall of Fame Award, ein Jahr, bevor er im Alter von 81 Jahren verstarb.