
Die beste Brennweite
35 mm – meine absolute Lieblingsbrennweite
Vor zehn Jahren sah ich mir ein Musikvideo meines Lieblingsmusikers an. Darin hielt er eine Kamera in der Hand. Es war eine Leica. Bei einer Seitenaufnahme der Gegenlichtblende erkannte ich, dass es ein 35-mm-Summilux war. Mein absolutes Lieblingsobjektiv und generell auch meine Lieblingsbrennweite.
Es muss wohl auch die meines Lieblingskünstlers sein, denn später sah ich ihn in einem anderen Musikvideo mit einem 35-mm-Summicron. Scheinbar ist er mein kreativer Zwilling! Bestimmt werde ich wegen unserer gemeinsamen Vorliebe für 35 mm eines Tages genauso gut Songs schreiben und Gitarre spielen können wie er... oder? Wohl eher nicht. Nein, ganz bestimmt nicht!

In dem folgenden Video gehe ich der Frage nach, was jeweils für welche der gängigen Brennweiten 28 mm, 35 mm und 50 mm spricht. Warum ziehen manche die eine der anderen vor? Wann und wie sollten sie eingesetzt werden?
Beginnen wir mit 28 mm
Ein 28-mm-Objektiv ist für gewöhnlich klein und leicht – wie gemacht für eine M-Kamera. Es ist das perfekte Objektiv, um es im Alltag überallhin mitzunehmen. Und es bietet einen ziemlich großen Bildausschnitt. Um das Ganze sinnvoll zu bewerten, sollten wir uns zunächst vergegenwärtigen, dass wir Menschen in drei Dimensionen sehen. Soweit keine Überraschung. Um mein Argument zu vereinfachen, beschränken wir uns auf die Tiefen- und Breitenwahrnehmung. Was die Breite betrifft, haben wir ein sehr weites Blickfeld. Dank unserer anamorphen Augen sehen wir fast 190°. In der Tiefe liegen wir irgendwo zwischen 35 und 50 mm.
Nun zurück zu meiner ursprünglichen Aussage: Es erfasst zwar viel, doch die Dinge erscheinen im Bildausschnitt manchmal etwas klein. Ich kenne viele, die überzeugte 28-mm-Fotografen sind, weil sie mit dieser Brennweite Szenen aus den Bereichen Street-, Architektur-, Lifestyle- und sogar Landschaftsfotografie festhalten können. Mir persönlich ist der weite Bildausschnitt im Alltag ein wenig zu weit. Ich bin kein Fan davon, wie klein die Dinge im Bild werden, insbesondere wenn sie weg sind. Dann sind sie beinahe nur halb so groß, wie ich sie in Echt wahrnehme. Deshalb fühle ich mich mehr zu 35 mm hingezogen – genauso wie mein Lieblingsmusiker.
35 mm bietet mir die größte künstlerische Freiheit
Diese Brennweite entspricht fast dem Sehwinkel des Menschen – bezogen auf die Tiefe ist sie nur geringfügig breiter als die Wahrnehmung unserer Augen. Sie wirkt minimal unnatürlich, aber das stört in keiner Weise. Für meine Jobs eignet sich 35 mm perfekt: optimal alltagstauglich und funktional. 35 mm ist großartig für Landschaftsaufnahmen und auch für Portraits im Kontext. Diese Brennweite hält das Leben wunderbar in all seinen Facetten fest. Sie ist wirklich unglaublich vielseitig.
Ob ich sie auch für Architektur oder Immobilien verwenden würde? Eher nicht. Und manchmal wünsche ich mir bei 35 mm und f/1.4 eine etwas stärkere Freistellung. Aber ich kann mit den Abstrichen leben. Brauche ich mehr Details und Präzision, greife ich auf die dritte bewährte Brennweite zurück: 50 mm.
50 mm: definitiv die menschlichste Brennweite
Diese Brennweite stellt die Dinge fast genauso dar, wie auch wir sie in der Tiefe sehen. Vermutlich ist das der Grund, warum einige der Bilder, die bis heute als Inbegriff zeitloser Fotografie gelten, mit 50 mm aufgenommen wurden. Außerdem finde ich, dass 50 mm erst so richtig den Charakter des Objektivs erkennen lassen.
Ich verwende 50-mm-Objektive für Portraits und Landschaftsaufnahmen mit viel Tiefe. Ich muss aber auch zugeben, dass mir 50 mm bei meiner Arbeit oft ein bisschen zu eng ist. Für eine stärkere Freistellung nehme ich aber gerne etwas mehr Gewicht und Größe in Kauf. Zwar gibt es auch kompakte und leichte 50-mm-Objektive, doch mit größeren Blendenöffnungen werden die Objektive auch größer und schwerer.
Die Praxis
Inzwischen gibt es wohl keinen Zweifel mehr daran, wie sehr ich 35 mm schätze. Im Alltag und für meine privaten Fotos besuche ich viele der Orte, an denen ich auch beruflich fotografiere – dann allerdings mit einer anderen Ausrüstung. Mein 35-mm-Objektiv nehme ich dabei einfach immer gern mit auf Fototour.
Aber man entwickelt sich nicht weiter, indem man es sich leicht macht, sondern indem man Hindernisse überwindet. Das Verlassen der eigenen Komfortzone, um sich auf eine neue Herausforderung einzulassen, eröffnet ungeahnte Möglichkeiten. Ich habe für mich erkannt, dass mich die Wiederholung unter veränderten Rahmenbedingungen als Fotograf enorm weiterbringt. Es macht mir Spaß, mit meiner M6 und dem 50-mm-Summilux dieselbe Strecke zu gehen, die ich am Vortag bereits mit meiner M11 und dem 28-mm-Summicron zurückgelegt habe. So lerne ich nicht nur was funktioniert, sondern auch wann es funktioniert – und vor allem warum.
Vielleicht sind Sie gerade dabei herauszufinden, welche Brennweite Ihnen gefällt. Oder Sie wissen es bereits. Oder Sie erkunden neue Möglichkeiten. Gerade erst war ich eine Woche in der Wüste und habe ausschließlich mit der M6 und einem 28-mm-Objektiv fotografiert. Und ich muss gestehen: Vielleicht befinde ich mich gerade selbst in einer künstlerischen Entwicklungsphase.
Fazit
Das Wichtigste ist, sich die Zeit zu nehmen und offen zu bleiben. So findet man heraus, womit man selbst am besten zurechtkommt.
Wenn Sie weitere Beispiele sehen oder die Vor- und Nachteile der einzelnen Brennweiten aus meiner Sicht hören möchten, schauen Sie sich einfach das Video oben an!

Dave Herring ist Fotograf und Kulturphilosoph mit Erfahrungen im Bereich Non-Profit-Management und als Creative Director. Herring wuchs an der Ostküste der USA auf und zog als junger Erwachsener nach Deutschland. Dort entdeckte er seine Liebe zur Landschaftsfotografie. Nach seiner Rückkehr in die USA hat ihn seine gemeinnützige Arbeit zu einem Fotografen, Filmemacher, Erzähler, Referenten und Autor gemacht, der in Geschichten und Erfahrungen am liebsten die menschliche Dimension aufdeckt. Heute lebt er in der Bay Area in Kalifornien und arbeitet dort mit seiner Leica M6 und Leica M11 zu den Themen Leben, Land und Vermächtnis.
Website: https://dave.online
Instagram: https://instagram.com/daveherring
YouTube: https://youtube.com/@davidherring