"Heimatfärbung" - Henrike Stahl
Die Galerie Leica Stuttgart präsentiert eine Ausstellung der in Frankreich lebenden deutschen Fotografin Henrike Stahl.

Henrike Stahl nutzt hybride Praktiken, um die tausend Möglichkeiten der Realität aufzuzeigen und einen Dialog zwischen den Welten herzustellen. Heimat und Identität sind zentrale Themen ihrer fotografischen Praxis. Für sie ist Pluralität ein Garant für Reichtum, und sie zerknüllt, schneidet und experimentiert gerne mit Papier, ohne die Realität zu manipulieren.

Die Fotografien und poetischen Interventionen im Bild sind während ihres Aufenthalts auf dem französischen Weingut Château Palmer im Jahr 2023 entstanden. Ihre Serie "L’arc sera parmi les nuages" erzählt vom Alltag der Winzer und porträtiert die größtenteils aus den umliegenden Vororten stammenden jungen Menschen, denen ein schlechter Ruf vorauseilt. Sie dokumentiert auf poetische Weise wie sich diese jungen Menschen in die Abläufe auf dem Weingut einbringen und durch das vermittelte Wissen lernen. "Mir wurde schnell klar, dass die Übertragung Teil einer umfassenderen Philosophie ist: Bei Palmer wird nicht nur Wein hergestellt, sondern auch Menschen geholfen, sich zu entwickeln. Sie geben jungen Menschen eine Chance und glauben an das Lernen. Die jungen Leute hier sind Knospen. Meine Aufgabe ist es, diese Knospen zu fotografieren, während sie aufblühen." (Henrike Stahl) Stahl fängt alles ein, was außerhalb des Rahmens liegt, und zeichnet dessen diskrete Furche nach: Randfiguren, Zwischenzustände, die Zartheit der Ränder. Während der Monate auf Châtea Palmer hat sie die Arbeit der Winzer mit einer komplizenhaften Sensibilität eingefangen, die Übertragungen beobachtet, experimentiert und ihre Drucke buchstäblich in die Erde getaucht, um sanfte, poetische Visionen zu gebären.

Allgegenwärtig ist in dieser naturnahen Arbeitsweise die Bedrohung durch die Dürre sowie den geografisch bedingten steigenden Meeresspiegel, welcher das Land langsam vereinnahmt. "Wie man unsere Erde über diese Angst der Überschwemmung retten kann, die einem in einem Ort wie Château Palmer – das Weingut liegt sehr nah am Meer – allgegenwärtig ist. Und was man tun kann um unsere gesellschaftlichen Werte darüber hinaus zu retten. Der Austausch ist sehr wichtig. Weiterzugeben was man gelernt hat. Dinge weiterzugeben an die Nachwelt." Bewusst wählt Stahl eine positive Perspektiveauf ihre Umwelt. Die ungewöhnlichen Praktiken des biologisch-dynamischen Landbaus inspirierten Stahl zur Fortführung ihres experimentellen Umgang mit der Fotografie. So setzt sie die Fotografien unterschiedlichen Prozessen und Einflüssen aus dem Weinbau aus. Alles was die Winzer machen, macht sie auch. Die Natur hat das letzte Wort - bei Wein und in ihrer Kunst. Die Einflussnahme der Natur wird von der Künstlerin in der haptischen Nachbearbeitung durch das Ausschneiden im Motiv fortgeführt.

Weinstöcke und Trauben, Tiere wie Ziegen und Schweine und darüber die drohende Flut – viele Motive aus Henrike Stahls Serie L’arc sera parmi les nuages ziehen Assoziationen zu Metaphern aus der biblischen Arche-Noah-Geschichte an wie ein Magnet, so beschreibt es die Autorin Carla Erdmann. Ins Deutsche übersetzt heißt der Titel Es wird der Regenbogen in den Wolken zu sehen sein . Das Naturphänomen als Zeichen der Hoffnung ist ein zentraler Aspekt von Stahls visueller Parabel: „Wie man unsere Erde über diese Angst der Überschwemmung retten kann. Und was man tun kann um unsere gesellschaftlichen Werte darüber hinaus zu retten. Der Austausch ist sehr wichtig. Weiterzugeben was man gelernt hat. Nicht nur sein eigenes Ding in seiner Ecke zu machen, für sich alleine.“ Das biblische Gleichnis war zu Beginn ihrer Instants -Residency nicht präsent, sondern hat sich erst im Laufe der Arbeit an der Serie ergeben.

HENRIKE STAHL

Als Autodidaktin assistierte die 1980 in Gießen geborene Fotografin Henrike Stahl bereits Steve Hiett und Paolo Roversi. Seit 2001 ist sie im Bereich Porträt und Fashion selbstständig. Inspiriert haben sie zunächst Wolfgang Tillmans, Rineke Dijkstra und Nan Goldin. Sie macht sich einen Namen mit ihrer ersten Serie "93", deren Bilder mit Stereotypen brechen, wie sie über die Pariser Suburbanität existieren. Als Fotokünstlerin experimentiert sie gerne mit Prints, die sie bemalt, faltet oder durch weitere kreative Techniken bearbeitet. 2023 war sie die zweite Künstlerin des Residency-Programms Instants von Leica und Château Palmer. Ihre Bilder wurden u.a. in Paris, Berlin und Arles ausgestellt. Sie lebt und arbeitet in Deutschland und Frankreich.

Führung vereinbaren