Two smartly dressed women walk past a homeless person.

Im Dialog: Lena Mucha und Barbara Klemm

Als letzte Ausstellung der Reihe anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Leica I zeigt die Leica Galerie Wien Bilder der Fotografin Lena Mucha sowie der Leica Fotografin Barbara Klemm. 

Als eine der bekanntesten Chronistinnen deutscher Geschichte hat die Fotojournalistin und Leica-Hall-of-Fame-Gewinnerin Barbara Klemm ein Gesamtwerk von historischer Bedeutung geschaffen. Seit mehr als 60 Jahren fängt sie den gesellschaftlichen und politischen Zeitgeist im In- und Ausland ein. Sie gilt als Pionierin ihres Fachs und als Vorbild für viele zeitgenössische Fotografinnen. Die Fotografin Lena Mucha schätzt vor allem den Respekt, mit dem Klemm Menschen fotografiert. Der Fokus von Muchas Arbeit liegt auf der Darstellung von sozialem Wandel, und sie gibt Minderheiten eine Plattform, so auch den jungen Jesidinnen in ihrer Fotoserie. Mit dem gemeinsamen Dialog veranstaltet die Leica Galerie Wien die letzte von zwölf Ausstellungen zum Jubiläumskonzept der Leica Galerien.

Leica: 100 Jahre Leica Fotografie – was sind Ihre Gedanken dazu? 
Lena Mucha: In 100 Jahren Leica Fotografie wurden einzigartige historische Momente festgehalten, wie die Porträts von Che Guevara des Fotografen Alberto Korda oder der Napalmangriff in Vietnam von Nick Út. Diese und andere Fotografen sind Teil der Leica Community, die die Geschichte der Fotografie mitschrieben. 100 Jahre Leica bedeuten auch eine rasante technologische Entwicklung vom Film zur digitalen Fotografie. Trotz der Veränderung innerhalb eines Jahrhunderts bleibt die Kraft der Bilder auch in dieser schnelllebigen Zeit nach wie vor bestehen.

Wie hat die Arbeit der Leica-Hall-of-Fame-Preisträger Ihre eigene Arbeit beeinflusst?
Mich hat vor allem die Nähe zu den Menschen in Barbara Klemms Arbeit beeindruckt. Ihre Fotos erzählen Geschichten, und man möchte mehr über die Hintergründe und das weitere Geschehen erfahren. Die respektvolle Darstellung der Menschen und ihr sensibler Blick auf Geschehnisse inspirieren, vermitteln ein Gespür für das Wesentliche und regen zum Nachdenken an. Barbara Klemm war in den 1960er- und 1970er-Jahren als Fotojournalistin in einem männerdominierten Beruf tätig und sehr erfolgreich. Ihre Vorbildfunktion für Frauen, ihre Stimme bzw. ihren Blick zu nutzen, um innerhalb patriarchaler Strukturen aufzuklären, hat mich auch in der Themenwahl meines Projekts beeinflusst. 

© Barbara Klemm

old images with kids
two hands

© Lena Mucha

Was ist das Thema Ihrer Fotos, die in der Ausstellung gezeigt werden?
In meiner Arbeit geht es um junge jesidische Frauen, die in Deutschland leben. Sie sind Aktivistinnen und nutzen ihre Stimme, um über die jesidische Kultur, den Genozid und die aktuelle Lage der Jesiden aufzuklären. Sie sind selbst als junge Mädchen aus dem Nordirak geflohen und leben seitdem in Deutschland.

old women around a table

© Barbara Klemm

Was sind Gemeinsamkeiten oder Unterschiede, die in diesem Dialog sichtbar werden?
Sowohl Barbara als auch die jungen jesidischen Frauen, die ich porträtiere, sind Pionierinnen: Klemm in ihrer Rolle als Fotojournalistin in den 1960er-Jahren und die Jesidinnen, Überlebende eines Genozids, die heute als Minderheit in der Diaspora in Deutschland leben. Barbara Klemm hat den Zeitgeist vor allem im öffentlichen Leben dargestellt, wichtige historische Momente eingefangen und Einblicke in die Gesellschaft durch Momentaufnahmen gegeben. In meiner Arbeit tauche ich ein in die Geschichten meiner Protagonisten und komme ihnen dabei sehr nah. Unterschiede zeigen sich auch in der Herangehensweise: Barbara Klemm arbeitet in Einzelbildern, mein Projekt ist seriell aufgebaut. Außerdem fotografierte Klemm in Schwarzweiß und ich in meiner Arbeit in Farbe.

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? 
Mich inspirieren Themen, die nah am Menschen sind. Themen, die mich emotional sowie visuell ansprechen und herausfordern. Soziale, politische und gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen sowie häufig auch Menschen, die in den Medien unterrepräsentiert werden. Zudem besuche ich gern Ausstellungen und Fotofestivals und lasse mich vor Ort inspirieren. Ich hatte schon länger die Idee, ein Projekt mit jesidischen Frauen zu realisieren. Der Dialog mit Barbara Klemm hat mich dazu inspiriert, diese Serie umzusetzen und mich mit dieser Lebensrealität auseinanderzusetzen.

Mit welcher Kamera haben Sie fotografiert und warum? 
Ich habe mit der SL3 fotografiert. Sie ermöglicht mir schnelles und präzises Arbeiten und Nähe zu meinen Protagonistinnen.

Wie hat sich die Fotografie in den letzten Jahrzehnten verändert? 
Durch den technischen Fortschritt ist die Fotografie schnelllebiger geworden. Neue Bildbearbeitungsmethoden und künstliche Intelligenz (KI) verwischen zunehmend die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Dadurch, dass immer mehr Menschen Zugang zu Kameras und Smartphones haben, ist die Fotografie zwar demokratischer geworden, was aber auch zur Folge hat, dass der Wert eines einzelnen Fotos gesunken ist. Die massenhafte Produktion und Verbreitung von Bildern durch das Internet und soziale Medien hat massiven Einfluss auf öffentliche Meinungen. Dies kann wiederum zu Propagandazwecken missbraucht werden.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation für Fotografinnen und Fotografen? 
Ich sehe vor allem eine große Herausforderung in der Finanzierung visueller Projekte. Auftraggeber wie Medienhäuser, NGOs aber auch Unternehmen reduzieren ihre Produktionsbudgets. Dokumentarische Langzeitprojekte sind ohne Förderung kaum noch zu möglich. Editorial-Aufträge werden seltener; der technische Wandel und die Verwendung von KI führen zu einer schnelleren und kostengünstigeren Produktion von Fotos, die für viele Kunden oft gut genug ist.

© Lena Mucha

two women

Welchen Chancen und Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft der Fotografie?
Ein Foto kann Menschen verbinden, Emotionen vermitteln, Kommunikation ermöglichen. Gute Dokumentarfotografie braucht Zeit, Geduld und Empathie. Dies in der aktuellen Schnelllebigkeit beizubehalten und zu finanzieren wird eine große Herausforderung sein. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass der Wert glaubwürdiger Dokumentarfotografie steigt.

Welche Rolle spielen Galerien im Zeitalter der digitalen Medien und speziell für Ihre Arbeit?
Galerien sind für mich Orte, an denen Fotografie und Kunst bewusst wahrgenommen werden können und an denen sich die Kraft der visuellen Darstellung entfalten kann. Sie sind außerdem ein wichtiger Raum für den Austausch und Dialog. 

Portrait of Barbara Klemm

© Gustav Eckart

Barbara Klemm

Barbara Klemm wurde 1939 in Münster, Westfalen, geboren und wuchs in einer Künstlerfamilie auf, ihr Vater Fritz Klemm war Professor an der Karlsruher Kunstakademie. Durch ihn machte sie erste fotografische Erfahrungen. 1958 begann sie eine Fotografenlehre in einem Porträtatelier in Karlsruhe und arbeitete ab 1959 im Fotolabor der FAZ. Dort wurden auch ihre erste Arbeiten als freie Mitarbeiterin publiziert. Darauf folgte von 1970 bis 2005 die Festanstellung als Redaktionsfotografin für Politik und Feuilleton. Sie gewann mehrere Auszeichnungen, darunter den Leica Hall of Fame Award 2012. Barbara Klemm lebt in Frankfurt am Main.

Portrait of Lena Mucha

Lena Mucha

Lena Mucha, geboren 1983, ist eine deutsche Fotografin. 2011 machte sie in Köln ihren Masterabschluss in Politikwissenschaften und Sozialanthropologie. In ihrer Arbeit fokussiert sie sich auf sozialkritische Themen wie Menschenrechte, Gleichberechtigung und Migration. Sie lebte mehrere Jahre in Kolumbien und Guatemala und arbeitete dort für NGOs. Ihre Fotoreportagen brachten ihr unter anderem das „Reporters in the Field“-Stipendium ein. 2016 war sie Stipendiatin für Magnum-Workshops mit Patrick Zachmann und David Alan Harvey. Sie lebt und arbeitet zwischen Berlin und München.