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Im Dialog

Interview mit Franziska Stünkel

Anlässlich des 100-jährigen Leica Jubiläums nimmt Franziska Stünkel Bezug auf das Werk des Leica Hall of Fame Gewinners Walter Vogel. Die Bilder der beiden sind in der Leica Galerie Frankfurt zu sehen.

Die Leica Galerien feiern in diesem Jahr 100 Jahre Leica Fotografie mit einem Konzept, das Vergangenheit und Zukunft der Fotografie in den bildlichen Dialog setzt. Die Galerie Frankfurt startet mit der Ausstellung von Franziska Stünkel und Walter Vogel. Stünkel nimmt in ihrer ganz eigenen und unverkennbaren Bildsprache Bezug auf das Werk der Leica Legende. Ab dem 16. Januar 2025 haben Besucher die Möglichkeit, sich von den Fotografien der beiden inspirieren zu lassen. Jeden Monat wird in einer ausgewählten Leica Galerie eine weitere Ausstellung eröffnet, die ein zeitgenössisches Talent mit einer renommierten Leica Hall of Fame Gewinnerin oder einem Gewinner vereint.

100 Jahre Leica Fotografie – was sind Ihre Gedanken dazu?

Franziska Stünkel: Ich staune immer wieder über den großen, wertvollen Kosmos herausragender Leica Fotografien, die unsere Wahrnehmung der Welt geprägt haben. Leica hat vor 100 Jahren mit der ersten Kleinbildkamera der Welt die Fotografie revolutioniert. Sie machte die Fotografie flexibel und spontan – ein völlig neuer, tiefgreifender Blick auf den Menschen ist so entstanden. Mit der Leica Fotografie verbinde ich wichtige Reportagefotografie, aber auch fotografische Positionen in der Kunst. Attribute wie Authentizität, menschliche Verbundenheit und Mut stehen stellvertretend für die Leica Fotografie. Sie sind, gestern wie heute, von großer Bedeutung, um wahrhaftige Bilder zu erzeugen.

Ich staune immer wieder über den großen, wertvollen Kosmos herausragender Leica Fotografien, die unsere Wahrnehmung der Welt geprägt haben.

Franziska Stünkel

Wie hat das Werk Walter Vogels Ihr Schaffen beeinflusst?

Walter Vogels Werk fasziniert mich vor allem durch die Art und Weise, wie er Szenen des alltäglichen Lebens mit präziser dokumentarischer Klarheit und künstlerischer Sensibilität einfängt. Seine Werke berühren mich. Er arbeitet, so wie ich auch, mit der Leica M. Wir sind beide Street Photographer. Er hat in den 1950er-Jahren begonnen zu fotografieren. Für diese Ausstellung bin ich an einige seiner Orte gereist. Dabei ging es nicht darum, etwas zu kopieren, sondern meiner eigenen Bildsprache treu zu bleiben. Ich habe dafür auch ganz konkrete Orte seines Schaffens wie das Caffè Gilli in Florenz oder den Ground Zero in New York aufgesucht. Als Vogel dort fotografierte, stand das World Trade Center noch. Es war berührend, zum Teil mehr als 70 Jahre später mit meiner Leica an genau diesen Orten zu sein. Dabei ging mir immer wieder durch den Kopf, wie nah er den Menschen und Orten gekommen ist.

Was sind die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede, die in diesem Dialog sichtbar werden?

Unsere Fotografien sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Vogels klare dokumentarische Schwarzweißfotografie steht meiner komplexen fragmentarischen Farbfotografie von Spiegelungen gegenüber – und doch dokumentieren wir beide das Leben auf der Straße. Die Orte und Menschen haben sich im Laufe der Zeit zwar durch kulturelle, technische und politische Entwicklungen verändert, doch uns eint die Suche nach dem zutiefst Menschlichen. Es ist der Zeitgeist, der mich an der Gegenüberstellung unserer Fotografien interessiert – das Zeitlose ist das, was mich berührt.

Hatten Sie sofort eine Idee, oder brauchten Sie Zeit, um sich dem Projekt anzunähern?

Die Idee, mich geografisch auf Walter Vogels Spuren zu bewegen, entstand schnell. Das Leica Archiv hatte mir über 40 Werke von Walter Vogel zur Auswahl gestellt. Je aufmerksamer ich unseren Fotografien „zuhörte“, desto mehr Ebenen und Feinheiten konnte ich erkennen. Es fühlte sich tatsächlich wie ein Gespräch an, dem ich beiwohnte. In der Ausstellung sind 18 Paarungen zu sehen. Darunter Fotografien, die miteinander über unseren individuellen fotografischen Blick auf denselben Ort sprechen. Ich entdeckte aber auch visuelle Parallelen, wie Silhouetten oder die Dynamik von Linienführungen. Doch was ich vor allem suchte, waren die unsichtbaren Verbindungen – Assoziationen. Die erzählerischen, gesellschaftspolitischen und poetischen Assoziationsräume zwischen unseren Fotografien finde ich hochspannend. An dem Punkt öffnet sich auch das Gespräch zwischen den Fotografien für die Perspektive der Besuchenden.

Walter Vogel_San Carlo Bar

Walter Vogel I San Carlo Bar

Wo holen Sie sich Inspiration? Wer oder was inspiriert Sie?

Das Unterwegssein zieht mich magisch an; die sozialen und kulturellen Dynamiken eines Ortes und das Unerwartete. Ich muss beim Fotografieren allein sein, um alles direkt und ungefiltert wahrzunehmen. Ich fotografiere Spiegelungen auf Glas. Die Fotografien wirken oft so als wären sie am Computer entstanden, aber ich bearbeite sie nicht digital. Die Fotografie entsteht komplett am Ort, so wie auch bei Walter Vogel. Ich finde das Leben auf der Straße faszinierend. Ich war mittlerweile auf allen Kontinenten unterwegs. Ich habe oft an den reisenden Walter Vogel mit seiner Leica gedacht.

Meine Fotografien entfalten erst in der von mir angedachten Größe ihre volle Kraft. Ich zeige meine Fotografien großformatig hinter Glas, damit sich der Betrachtende in der Fotografie spiegelt und Teil des Bildes wird – Coexist.

Franziska Stünkel

Worum geht es in Ihren Bildern, in Ihrer Serie?

Seit über 15 Jahren fotografiere ich meine Serie Coexist. Ich suche in Metropolen weltweit nach Spiegelungen auf Glas, in denen sich scheinbar alles berührt – Menschen, Elemente urbanen Lebens, unterschiedliche Kulturen. Es ist für mich ein Symbol für die Komplexität menschlichen Miteinanders, eine visuelle Reflexion über die Herausforderungen und die Schönheit unseres Zusammenlebens. Es ist ein Aufruf, die Balance zwischen Individualität und Gemeinschaft zu wahren. Die Serie lädt dazu ein, über Wege friedlicher Koexistenz nachzudenken – ein Thema, das in einer zunehmend vernetzten und zugleich fragmentierten Welt für mich aktueller denn je ist.

Mit welcher Kamera haben Sie fotografiert und warum?

Mit der Leica M. Ich kann mir keine andere Kamera vorstellen. Ich möchte beim Fotografieren Teil meiner Umgebung sein. Die Leica M ist klein und macht das möglich.

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Was denken Sie, wie hat sich die Fotografie in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Die Fotografie hat sich enorm gewandelt, vor allem durch den Übergang von der analogen zur digitalen Technik. Ich finde es gut, dass Fotografie viel zugänglicher und demokratischer geworden ist – jeder kann fotografieren. Gleichzeitig ist als Kontrapunkt zur allgegenwärtigen Flut von Bildern die Existenz klarer künstlerischer Handschriften extrem wichtig, damit Themen in all ihrer Tiefe und Komplexität ausgelotet werden können und das Medium der Fotografie auf künstlerischer Ebene erforscht werden kann.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation für Fotografinnen und Fotografen?

Es ist viel in Bewegung in der Fotografie, aber auch in der Welt. Daher ist es gerade eine wichtige und richtige Zeit für uns Fotografierende.

Welchen Chancen und Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft der Fotografie?

Fotografie wird nichts von ihrer Faszination einbüßen. Die Frage ist, wie KI die Fotografie verändern wird und wo sich darin der Mensch und das Menschliche wiederfinden.

Welche Rolle spielen Galerien im Zeitalter digitaler Medien und ganz spezifisch für Ihre Arbeit?

Gerade im Zeitalter digitaler Medien spielen Galerien für mich eine immer größere Rolle. Es sind Rückzugsorte, an denen man sich der digitalen Bilderflut bewusst entziehen kann, um die Ruhe für eine tiefere Einlassung auf ein Bild zu finden. In einem Bild liegt ein ganzes Universum. Die volle und nachhaltige Wirkung kann ich nur ausschöpfen, wenn ich dem Bild den Raum dazu gebe – und Galerien ermöglichen das. Die Zusammenarbeit mit Ausstellungsmachenden und ihre Kompositionen im Raum sind hochspannend zu erleben. Meine Fotografien entfalten auch erst in der von mir angedachten Größe ihre volle Kraft. Ich zeige meine Fotografien großformatig hinter Glas, damit sich der Betrachtende in der Fotografie spiegelt und Teil des Bildes wird – Coexist. Das kann man nur in einer Ausstellung erleben.

Portrait of Franziska Stünkel

Franziska Stünkel

Franziska Stünkel ist eine deutsche Fotokünstlerin, Filmregisseurin und Drehbuchautorin. Sie studierte bildende Kunst in Kassel und Hannover. Die fotografische Serie Coexist zeigt ihre weltumspannende Suche nach Koexistenz. Die Bilder von Franziska Stünkel werden in renommierten Galerien und Ausstellungsinstitutionen gezeigt und sind in privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten, u. a. in der Sammlung des Sprengel Museums Hannover. Unter den Auszeichnungen für ihre fotografischen Arbeiten sind der Audi Art Award und der Berlin Hyp Kunstpreis. Franziska Stünkel wurde 2023 für den Beyond Future Art Prize, den Louis Roederer Photography Prize und den Prix Pictet Photography Award nominiert. Ihr Bildband Coexist ist 2020 im Kehrer Verlag erschienen.