2025-10-WREDE-LEICA

Weiss war der Schnee

Interview mit Thomas Wrede

21/10/2025
Die Werkreihe "Weiss war der Schnee" von Thomas Wrede visualisiert das Abschmelzen der alpinen Gletscher. Verpackt in Vliestüchern zum Schutz gegen das wärmer werdende Klima, sind die unterschiedlichen Materialien aus verwittertem Kunststoffvlies, verdrecktem Eis und grauen Steinen, kaum noch auseinander zu halten.

Weiss war der Schnee – Schon der Titel impliziert, dass es hier um Vergänglichkeit und um Veränderung geht. Einst galten Gletscher als Inbegriff der unberührten Natur, als etwas Ewiges und Erhabenes. Heute werden sie fast verzweifelt mit Tüchern abgedeckt. Lieber Thomas, du bist vielmehr als ein Chronist des Wandels, was fasziniert dich an der Welt aus Eis?

Thomas Wrede: Ich möchte als bildender Künstler Fotografien zeigen, die berühren, die eine Ambivalenz ausstrahlen und den einzelnen Menschen mit seinen inneren Bildern und Assoziationen erreichen. Landschaft, die Spuren des Menschen in der Landschaft, die Inszenierung der Landschaft - das waren immer Themen für mich, die mich sehr fasziniert haben. All diese Aspekte kommen in der Bildwelt der verpackten Gletscher zusammen. Verhüllte Gletscher stehen symbolisch für den Klimawandel und für die Klimakrise und den verzweifelten Kampf dagegen. Es wirkt auch wie eine Sisyphusarbeit, wenn man versucht mit diesen Tüchern etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Das spezielle Kunststoffvlies soll das schnelle Abschmelzen um ca. 50% verzögern und verlängert so die Nutzung dieser touristischen Attraktion. Für mich sind die Vliesabdeckungen ein sichtbares Zeichen für den Klimawandel und ein bildstarkes Motiv für den hoffnungslosen Kampf gegen das Abschmelzen der Gletscher.

Leica-Galerie-Dusseldorf_Thomas-Wrede_Doppel

Deinen Außenaufnahmen der grauen Vliestücher über dem Gletscher stehen die strahlend blauen Innenaufnahmen aus einer Eisgrotte gegenüber. 

Thomas Wrede: Außen und Innen, Hell und Dunkel sind Beispiele für Polarisierungen, die mich als bildnerisches Konzept immer wieder interessieren. In dieser Werkreihe arbeite ich gerne mit inhaltlichen und formalen Gegensätzen. Ich zeige die Landschaft als Totale und konzentriere mich dann auf die Details, um die Spuren in der Landschaft zu zeigen, die viel erzählen können. Details sind oft verführerisch schön. Zugleich ist mir die Totale und die Verortung wichtig.

Im Außenbereich sind die unterschiedlichen Materialien aus verwittertem Kunststoffvlies, verdrecktem Eis und grauen Steinen kaum noch auseinander zu halten. Außen und Innen, Natur und Kunststoff vermischen sich und zeugen doch von ganz gegensätzlichen Welten. Der maroden „Außenhaut“ steht das faszinierende Farben- und Lichtspiel der jahrhundertealten Eisschichten im Inneren der Eishöhle gegenüber.

Du warst vor einigen Monaten am Furkapass, das ist ein ganz berühmter touristischer Ort mit dem exponierten Hotel Belvédère in der Haarnadelkurve und dort befindet sich diese bekannte Eishöhle.

Thomas Wrede: Die Eisgrotte war bis diesen Sommer noch zu begehen, seit ca. 1870 ist sie ein Magnet für Touristen. Schon Goethe und Kaiserin Sissi sind dort am Gletscher gewesen, entsprechend hat man dieses legendäre Hotel gebaut, das damals mit Pferdekutschen zu erreichen war. Heute ist es ein Hotspot im Sommer, man findet kaum mehr einen Parkplatz. Als ich 2018 die Werkreihe „Weiss war der Schnee“ begonnen habe, konnte man noch 100 Meter tief in die Eisgrotte gehen, in diesem Sommer waren es vielleicht noch 10 bis 20 Meter. Es ist sehr unklar, wie es überhaupt weitergeht, man müsste die Grotte 300 Meter weiter oberhalb nochmal in das Eis hineinschlagen. Diese Eisgrotte war am Anfang eine natürliche Höhle, aber weil sie mit dem Gletscher immer weiter zurück geschmolzen ist, musste man sie immer neu einschlagen und erweitern. Im Prinzip ist es eine künstliche Eisgrotte geworden, eine Inszenierung.

Lass uns über ein Bild sprechen aus dem Innern der Eisgrotte mit eingeschlossenen Luftblasen.

Thomas Wrede: Über mir sind circa 50 Meter Eis, in dieser Tiefe ist das Eis wesentlich klarer und sauberer, hier ist es dunkel und ich habe in einer Langzeitbelichtung ungefähr bis zu einem Meter tief in das Eis schauen können mit den entsprechenden Schichtungen und Luftblasen. Es wirkt wie eine ungeheure Gischt, eine gewaltige Bewegung, man sieht die ganze Energie von 600 - 700 Jahren, wo Tonnen von Gewicht das Eis geformt und gepresst haben. Ein absoluter Stillstand, der wie eine riesige Wellenbewegung im Wasser wirkt.

Das dunkle Eis mit den alten Tüchern, die außen grau und staubig wirken, vergleiche ich immer mit einer Austernmuschel, mit grauer, harter Schale und mit einer Perle im Innern. So schön ist es auch in einem Gletscher und mir ist es sehr wichtig, die Schönheit zu zeigen. Die Faszination liegt in den Strukturen der ungeheuerlich vielen Luftblasen, die seit Hunderten von Jahren eingeschlossen sind. Ich bin im Inneren des Gletschers auch an die Stellen gegangen, wo der Schmelzvorgang ganz klar zu erkennen ist. Dorthin, wo die ersten Löcher im Eis entstehen, wo das Eis so dünn wie eine Glasscheibe ist, durch die man schauen kann. Die Tücher scheinen im Gegenlicht der Sonne orange-rot, mit einem ungeheuren Farbenspiel durch das Eis.

Thomas Wrede Rhonegletscher

In der Werkreihe „Weiss war der Schnee“ sind Bilder mit dem Titel „Blutschnee“ zu sehen, was hat es damit auf sich?

Thomas Wrede: Die Behauptung, dass der Schnee weiß war, stimmt ja im seltensten Fall. Nur ganz am Anfang ist er weiß und dann wird er gräulich und irgendwann schwarz. Oder durch den Sahara Staub wird der Schnee gelblich-ockerfarben. Der Schnee nimmt immer wieder andere Farben an. Und auch das ist ein Ausdruck für diesen Wandel: die Klimakrise drückt sich hier in der Farbigkeit und den Strukturen aus. Ein anderes natürliches Farbphänomen ist der rosarote Blutschnee. Ein Begriff aus dem Mittelalter, der eine Algenblüte beschreibt, die genau bei 0 Grad hervorkommt, plus minus 1-2 Grad. Diese Algenblüte ist sehr empfindlich und kann sehr schnell wieder verschwinden. Gleichzeitig fördert die rote Färbung das Abschmelzen, weil nicht so viele warme Sonnenstrahlen reflektiert werden.

Die Bedeutung der Gletscher wird erst jetzt vielen bewusst. Natürlich versorgen Gletscher die Flüsse mit Wasser, aber sie tragen auch zum Mikroklima bei und es gibt spürbare Rückwirkungen auf das ganze Ökosystem. Der Permafrostboden und die Gletscher halten die Berge zusammen, sie stabilisieren die Bergwelt. An vielen Stellen sehen wir jetzt schon starken Steinschlag. Der ganze Schutt eines Bergrutsches kann einen Gletschersee fluten und es kann zu einem Seetsunami kommen, bei dem große Wassermengen ins Tal rauschen können.

Thomas Wrede Blutschnee

Du bist im Mai mit der Leica SL 3 im Gletscher gewesen, erzähl uns von deinen Erfahrungen. 

Thomas Wrede: Mit einer Kamera im und am Gletscher zu sein, ist durchaus eine Extremsituation. Man muss schnell und konzentriert arbeiten. Das war alles möglich, weil die Leica SL3 ein sehr leicht zu führendes Menü hat. Ich konnte mich sehr schnell rein fühlen in diese Kamera und sie arbeitet einem zu. Das finde ich sehr angenehm.

Wir haben exklusiv von dir eine Sonderedition eines ganz aktuellen Bildes vom Mutt Gletscher am Furkapass aufgelegt, vielen Dank für diese Möglichkeit. 

Thomas Wrede: Eine Edition in einem kleinen Format zu einem etwas günstigeren Preis ist natürlich für Sammler und Einsteiger ins Sammeln von Fotografie interessant. Ich arbeite viel im großformatigen Bereich, einige wenige Bilder erscheinen aber auch im kleinen Format. Die Edition vom Muttgletscher finde ich sehr faszinierend. Vor Jahrtausenden war er ein Teil des Rhonegletschers. Wenn man vor dem Hotel Belvédère steht, sieht man ihn im Hintergrund. Ich habe ihn aber aus einer anderen Perspektive fotografiert. Man erkennt sehr schön die Spuren und die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Jahreszeiten. Im Hochgebirge ist faktisch noch Winter, wo zwei kleine Punkte als Skifahrer auszumachen sind. Im mittleren Bereich erkennt man noch einige Skispuren im schmelzenden, feuchten Schnee. Und weiter unten schmilzt auch das Gletschereis und das leichte Grün zeugt vom Beginn des Frühlings. Im Tal kann man einige Details erkennen, wie eine kleine Eisenbahn. Mich interessiert an diesen Motiven die Eingebundenheit in der Gesamtlandschaft.

Der Ausgangspunkt meiner künstlerischen Arbeit ist immer wieder die Reflexion unserer Beziehung zur Natur und Landschaft als auch ihrer medialen Vermittlung mit den Mitteln der Fotografie.

Wrede_GLETSCHER

Thomas Wrede:

Der deutsche Fotograf, 1963 in Iserlohn geboren, setzt sich in seinen Arbeiten oft mit der Wahrnehmung von Realität und Inszenierung auseinander. Nach seinem Studium an der Kunstakademie Münster, das er 1991 mit dem Meisterabschluss abschloss, war er Schüler von Dieter Appelt in Berlin und Salzburg. Von 1997 bis 2005 hatte Wrede einen Lehrauftrag für Fotografie an der Kunstakademie Münster inne. Seit 2015 ist er Professor für Fotografie und Medienkunst an der Hochschule der Bildenden Künste Essen (HBK). Seine Werke sind regelmäßig in renommierten Galerien und Ausstellungen zu sehen und zeichnen sich durch eine besondere Bildsprache aus, die zwischen dokumentarischer Genauigkeit und surrealer Konstruktion oszilliert.

Das Interview wurde von der Kuratorin Ulla Born aus der Leica Galerie Düsseldorf geführt.